Ich stecke fest. Mitten im Fluss. Ich bin ausgerutscht auf den glatten, nassen Steinen, auf denen ich über den Fluss balancieren wollte. Und nun habe ich mich auf diesen Stein gerettet. Mitsamt Rucksack – vollgepackt mit dem Nötigsten für eine viertägige Wanderung. Meine Schuhe sind nass, meine Knie und meine Hände aufgeschrabt.
Macht nichts, es blutet nicht und die Schuhe trocknen. Es ist ja warm. Wie ich es auf diesen Stein geschafft habe, weiß ich nicht. Jetzt geht es jedenfalls nicht weiter.
Ich könnte es schaffen von Stein zu Stein, aber sie sind zu nah an der Kaskade, das kommt nicht in Frage. Der nächste Stein ohne diesen Umweg zu weit weg. Zurück komme ich auch nicht, nicht mir Rucksack. Den brauche ich. Hinter mir ragt ein großer Stein aus dem Fluss. Vielleicht gibt es dahinter einen Weg? Nein, der Stein ist hoch und glatt. Ein kleiner Fels. Und mit dem Rucksack geht es schon gar nicht. Meine Freundin ist schon auf der anderen Seite, ich habe nicht gesehen, welchen Weg sie genommen hat. Jetzt lehnt sie an einen Fels auf der flussabgewandten Seite und schaut aufs Tal. „Siggi!“ Der Wind kommt von vorne. Keine Chance. Sie hört mich nicht. Naja, irgendwann wird sie mich vermissen. Aber wie komme ich hier weiter? Siggi könnte auch nicht helfen. Meine Gedanken kreisen. Immer schneller. Der Umweg an der Kaskade? Zu gefährlich. Ein Sprung nach vorne auf den nächsten Stein? Das schaffe ich nicht. Zu weit und der Stein zu nass. Zurück? Das gleiche. Immer wieder gehe ich diese Möglichkeiten durch. Keine Chance. Die Angst wird größer. Panik. Zu gefährlich das eine. Zu gefährlich das andere. Der dritte Weg: zu gefährlich. Helfen kann auch keiner. Wie sollte das gehen? Oder doch?
Da kommen zwei Wanderer. Gleich werden sie hier sein. Ich warte. Sie kommen nicht. Aber es gibt doch keinen anderen Weg. Die im Wanderführer angekündigte Brücke gibt es nicht mehr und alle Abzweigungen führten ins Nichts. Also doch vorsichtig am Rand der Kaskade lang? Nein, zu gefährlich. Sprung nach vorne? Schaffe ich nicht. Und die Kluft zwischen den Steinen ist zu tief. Zurück? Zu weit. „Siggi!“ Nichts. Erschöpft lehne ich mich zurück. An den kleinen Fels hinter mir.
Atmen. Zitronenbrause.
Seitdem mich einmal, als ich erschöpft war vom Wandern, eine Zitronenbrause gerettet hatte, habe ich immer eine im Rucksack. Für Notfälle. Dies ist einer. Erstmal Zitronenbrause, dann denke ich noch mal von vorne.
Manchmal stecken wir fest
Gibt es solche Situationen auch in deinem Leben? Kennst du das Gefühl, festzustecken, dich im Kreis zu drehen und du findest und findest keinen Ausweg? Vielleicht kennst du auch Situationen wie diese:
Clemens steckt fest – in seiner Beziehung und in seiner Firma. Er dreht sich im Kreis, sein Kreislauf beschwert sich.
Astrid fühlt sich wie im Hamsterrad – das Familienunternehmen, die Mutter, die sich immer wieder einmischt, zu viel Routine in der Beziehung.
Lisa ist Beststudentin, Master of Science – alle erwarten Großes von ihr, aber Lisa will frei sein.
Birgit ist schon lange nicht mehr zufrieden mit ihrer Arbeit in der Stadtverwaltung. Sie spürt, dass mehr in ihr steckt.
Carina ist müde. Zu lange hat sie gekämpft um Liebe und Erfolg.
Franz kann nicht mehr. Die Einfahrt pflastern für den Nachbarn, der neue Pavillon für die Frau, das Haus der Eltern muss renoviert werden und der Schwager braucht eine neue Terrassenumrandung.
Marie hat Angst, in den Zug zu steigen, um zur Ausbildung zu fahren. Zu viel Neues. Unsicheres.
Nadine hat Angst vor ihrer Angst und bei Sandra enden die Beziehungen immer nach dem gleichen Muster.
Josephine ist seit einem Jahr selbständig. Mit so viel Elan hat sie begonnen! Jetzt zweifelt sie nur noch.
Bei Rufus ist eigentlich alles in Ordnung. Zufrieden ist er nicht. „Soll das alles sein?“, fragt er sich.
Carl kann sich nicht entscheiden. Weitermachen? Das Studium schmeißen? Ins Ausland gehen? Beim Vater anfangen? Alle erwarten irgendwas. Wie soll er wissen, was er will? Wo ist sein Weg? Und würde er sich trauen, ihn zu gehen?
Jede und jeder von uns kennt wahrscheinlich solche Situationen und Zeiten im Leben. Wir wissen nicht weiter. Alles andere tritt immer mehr zurück, bis das Leben nur noch aus dem Problem zu bestehen scheint. Oder aus mehreren.
Alles ist gleichzeitig.
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Was siehst du hier?
Die meisten Menschen, die ich das frage, sehen einen schwarzen Punkt, einen Kreis, ein schwarzes Loch oder etwas Ähnliches. Nur wenige Menschen sehen die große weiße Fläche ringsherum.
Wir können entscheiden, wohin wir schauen. Wir können entscheiden, worauf wir uns fokussieren. Wir können uns vom Problem lösen (oder vom schwarzen Punkt) und unsere Aufmerksamkeit auf die große, weiße Fläche lenken. Auf die Möglichkeiten, dorthin, wo wir Wege und Lösungen entdecken können. Das rückt das Problem in einen anderen Zusammenhang.
Wir können sehen, dass es auch an den schwersten Tagen, auch in der dunkelsten Zeit etwas gibt, was schön ist. Was uns Kraft gibt. Auch dunkle Tage sind Lebenszeit. Zeit, die zu schade dafür ist, nur zu hoffen, dass sie schnell vorbei geht. Und auch, wenn es sich anhört wie in einem abgedroschenen Ratgeber, finde ich es doch gut, sich das immer mal bewusst zu machen: Alles ist gleichzeitig. Und die Situation zu akzeptieren. Probleme gehören zum Leben, das weiß jeder Mensch, der schon ein bisschen Lebenszeit hinter sich hat. Und trotzdem: Es sind zwei verschiedene Dinge, das zu wissen und es wirklich fühlen zu können.
Und selbst wenn wir das können, selbst wenn wir es schaffen, einen Schritt zurückzutreten und nicht nur den schwarzen Punkt, das Problem, zu sehen, sondern auch die weiße Fläche: Auch dann brauchen die Probleme Aufmerksamkeit. Nur weil noch eine große weiße Fläche ist, ist das Problem nicht weg. Auch wenn wir es manchmal nicht sehen wollen: Es ist da und wir brauchen einen Weg, um damit umgehen zu können. Es auf die eine oder andere oder ganz andere Art zu lösen.
Was wäre, wen wir uns nicht um unsere Problem kümmern würden? Wenn wir sie ignorieren und weitermachen wie bisher?
Was wäre, wenn Clemens weitermacht wie bisher? Was würde aus seiner Beziehung werden? Wozu hat er die Firma, wenn keine Freude mehr da ist? Und was ist mit seinen Kreislaufproblemen?
Was wäre, wenn Astrid immer weiter rennt in ihrem Hamsterrad?
Wie wird es Birgit ergehen, wenn sie weiter macht wie bisher?
Was, wenn Carina weiter müde durchs Leben geht?
Wie lange hält Franz das noch durch?
Wie würde es für Marie, Nadine, Sandra, Josephine, Rufus und Carl weitergehen?
Wie ist es bei dir? Stell` dir vor, du würdest deine Probleme ignorieren. Was wäre der Preis?
Und was würde sich ändern, wenn du einen Weg finden würdest, damit umzugehen?
Willst du im Übrigen wissen, wie es mir auf meinem Stein im Fluss weiter erging?
Die Zitronenbrause half. Ich konnte mich beruhigen und begann von vorne zu überlegen: Es muss einen Weg geben, vor oder zurück. Ich bin ja schließlich hierher gekommen. Was, wenn ich den Rucksack erstmal stehen ließ? Nur Handy, Geldkarte und Ausweis würde ich mitnehmen. Vielleicht haben wir später eine Idee für den Rucksack. Die Steine an der Kaskade waren zu gefährlich. Mit oder ohne Gepäck. Der Sprung nach vorne zum nächsten Stein auch. Der Stein war glatt. Ich würde das kurze Stück bis zum nächsten Stein durch das Wasser waten. So tief war es gar nicht. Danach würde es wieder leicht sein. Die Steine lagen dicht aneinander, fast wie eine Brücke. Ja, von Stein zu Stein. Das würde ich schaffen. Die Sachen wären schnell wieder trocken.. Ich war ruhig jetzt. Und ich konnte mich sogar umschauen. Wie schön es hier war! Fast musste ich lachen über meine Situation. Oder ich könnte warten, bis Siggi mich sieht. Vielleicht würde uns zusammen etwas einfallen.
Da stand ein Mann am gegenüberliegenden Ufer. Offensichtlich wollte er den Fluss in die andere Richtung überqueren. Ohne Gepäck. Er sah mich an. Fragend. Ich zuckte mit den Schultern. Leichtfüßig sprang er über die Steine. Ohne ein Wort nahm er meinen Rucksack. Dann zeigte er auf einen kleinen Vorsprung an dem kleinen Fels in meinem Rücken. Ich sah ihn fragend an. Er nickte. Ich hielt mich am Fels fest und trat mit einem Fuß auf den Vorsprung. Den hatte ich nicht gesehen. Von hier konnte ich auf die andere Seite des Felsens sehen. Hier lag ein schmales Brett, das den Stein mit dem nächsten verband!! Nun kam auch Siggi. Sie schaute ein bisschen erstaunt. Natürlich war sie diesen Weg gegangen und sah jetzt nur, wie ich auf demselben Weg den Fluss überquerte. „Alles in Ordnung?“, fragte sie.
Ich bedankte mich bei dem Mann, der trotzdem meinen Rucksack über den Fluss gebracht hatte. „Siempre hay un camino. Siempre.“. Er lachte und ging weiter. Ja, es gibt immer einen Weg. Immer. Zweihundert Meter weiter fanden wir auch die Brücke, die im Wanderführer beschrieben war. Wir hatten uns in den Kaskaden verzählt.
Es gibt immer einen Weg. Immer.
Diese Wanderung in den Pyrenäen ist lange her. Den Satz habe ich behalten. Es ist mein Motto geworden. Und er entspricht meiner Erfahrung. Im Leben und in der Arbeit als Psychologin und Coach. Es gibt immer einen Weg. Immer. Wie auch immer der aussehen mag. Wenn wir unser Problem als solches akzeptieren, die Situation annehmen, wird Kraft frei. Kraft , um Wege zu suchen und zu finden. So paradox es klingen mag, das steht am Anfang: Zu akzeptieren, was ist. Dann können wir einen Schritt zurücktreten, die weiße Fläche und den schwarzen Pinkt sehen und Wege finden. Übrigens, als ich mal wieder von dem weißen Punkt und der weißen Fläche erzählt hatte, antworte ein Klient: „Wenn ich zurücktrete, sehe ich viel schwarze Punkte.“ – „Oh. Klingt, als ob Sie es gerade nicht leicht haben im Leben. Was ist eigentlich zwischen den schwarzen Punkten?“ – „Zwischenräume“, sagte mein Gegenüber. Platz, um Wege zu bauen. Über mögliche Wege werde ich mehr im nächsten Artikel schreiben.. Und vielleicht hast du ja auch Lust, über Wege zu berichten, die dir geholfen haben, mit deinen Themen und Herausforderungen umzugehen?
Ausblick:
Probleme und Lösungen II
In diesem Artikel werde ich über mögliche Wege erzählen. Über Bewältigungsstrategien, Hilfesysteme, über Beratung, Coaching und Therapie und andere Möglichkeiten. Auch über Wanderwege😊
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